Die Regierung hat am Dienstag, 14. Mai 2024 den Bericht und Antrag zu einer Justizreform verabschiedet. Dabei werden die Verfassung, das Gerichtsorganisationsgesetz und zahlreiche weitere Gesetze abgeändert.
Die Regierung erkennt in verschiedener Hinsicht einen strukturellen Optimierungsbedarf im Justizwesen: Zum einen zeichnet sich sowohl international als auch in Liechtenstein ein Fachkräftemangel im Justizbereich ab. Zudem stehen in den nächsten Jahren einige Pensionierungen von langjährigen, erfahrenen Richterinnen und Richtern an. Zum anderen sieht die Regierung Handlungsbedarf in Bezug auf den im internationalen Vergleich geringen Grad an Professionalisierung – damit ist die Vollamtlichkeit einer Richterfunktion gemeint – an den liechtensteinischen Gerichten. Die Höchstgerichte – also der Oberste Gerichtshof, der Verwaltungsgerichtshof und der Staatsgerichtshof – sind heute ausschliesslich mit nebenamtlichen Richterinnen und Richtern besetzt, die hauptberuflich einer anderen Tätigkeit, wie beispielsweise einer Anwaltstätigkeit im Inland oder einer Richtertätigkeit im Ausland, nachgehen. Dadurch können Interessenkonflikte in Bezug auf die Richterfunktion entstehen.
Angesichts dessen soll mit der gegenständlich vorgeschlagenen Justizreform einerseits der Personalressourcenproblematik vorausschauend begegnet werden. Andererseits soll durch die Erhöhung der Anzahl vollamtlicher Richterinnen und Richter eine weitergehende Professionalisierung der Gerichte erreicht und damit die Unabhängigkeit und Qualität der Gerichte langfristig gestärkt werden.
Beschränkung auf eine Rechtsmittelinstanz im Zivil- und Strafverfahren
In Anbetracht der Grössenverhältnisse des Landes kommt die Regierung zum Schluss, dass die angestrebte Professionalisierung bei den Rechtmittelinstanzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit am sinnvollsten dadurch erfolgt, dass der Instanzenzug verkürzt wird. Deshalb sollen neu die Entscheidungen der ersten Instanz in Zivil- und Strafverfahren nur noch an eine Rechtsmittelinstanz weitergezogen werden können, wie dies heute bereits in vielen Bereichen in Liechtenstein oder auch im grenznahen Ausland der Fall ist. Konkret ausgestaltet wird die Beschränkung auf eine ordentliche Rechtsmittelinstanz dadurch, dass das Obergericht in den Obersten Gerichtshof integriert wird.
Zudem soll der Oberste Gerichtshof professionalisiert werden: Dieser soll neu als Dreiersenat, bestehend aus zwei vollamtlichen Richterinnen bzw. Richtern und einer nebenamtlichen Richterin bzw. einem nebenamtlichen Richter, entscheiden. Bislang ist der Oberste Gerichtshof ausschliesslich mit nebenamtlichen Richterinnen und Richtern besetzt, die in einem Fünfersenat entscheiden.
Die Verkürzung des Instanzenzuges entspricht dabei auch dem Bedürfnis der Verfahrensparteien nach möglichst rascher Rechtssicherheit und geringeren Kosten. Die gegenständliche Vorlage führt deshalb auch zu einem Standortvorteil für den Wirtschaftsstandort Liechtenstein.
Professionalisierung des Verwaltungsgerichtshofes
Auch der bisher ausschliesslich mit nebenamtlichen Richterinnen und Richtern besetzte Verwaltungsgerichtshof soll professionalisiert werden, indem dieser in den neuen Obersten Gerichtshof integriert wird. So soll der neue Oberste Gerichtshof auch in Verwaltungsrechtssachen entscheiden, und zwar in der Besetzung als Dreiersenat, bestehend aus zwei vollamtlichen Richterinnen bzw. Richtern und einer nebenamtlichen Richterin bzw. einem nebenamtlichen Richter.
Somit ist in erster Instanz das Landgericht wie bisher für alle Zivil- und Strafsachen zuständig. Neu soll der professionalisierte Oberste Gerichtshof als jeweils letzte Rechtsmittelinstanz in Zivil- und Strafsachen wie auch in allen Verwaltungsrechtssachen entscheiden.
«Richterpool» und verstärkte Senate
Begleitend sind weitere Massnahmen vorgesehen, welche die Gerichte zusätzlich stärken. Diese betreffen insbesondere die Einführung verstärkter Senate beim Obersten Gerichtshof. Diese sollen bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung angerufen werden können und in einer Besetzung als Fünfersenat entscheiden.
Des Weiteren wird beim Obersten Gerichtshof ein sogenannter Richterpool geschaffen, um die Möglichkeit der Spezialisierung und auch eine gewisse Flexibilität zu erreichen, um auf unterschiedliche Auslastungen in den einzelnen Rechtsgebieten adäquat und zeitnah reagieren zu können. Mittels Geschäftsverteilung sollen die einzelnen vollamtlichen sowie nebenamtlichen Richterinnen und Richter den einzelnen Senaten zugeteilt werden. So können künftig spezialisierte Senate, wie beispielsweise für das Zivilrecht, das Strafrecht, das Finanzmarktrecht, das Asylrecht, das Steuerrecht und das Verwaltungsstrafrecht, gebildet werden.
Schaffung eines Trustgerichts zur Stärkung des Finanzplatzes
Des Weiteren soll im Hinblick auf die spezifischen Bedürfnisse des liechtensteinischen Finanzplatzes beim Landgericht ein spezialisierter Senat für das Trustrecht eingeführt werden. Beim Obersten Gerichtshof kann mittels Geschäftsverteilung ebenfalls ein spezifischer Trustsenat gebildet werden, der mit vollamtlichen und nebenamtlichen Richterinnen und Richtern aus dem oben erwähnten Richterpool zusammengesetzt ist.
Professionalisierung des Staatsgerichtshofes
Auch beim Staatsgerichtshof soll eine Professionalisierung erfolgen: Neu sollen die Präsidentin oder der Präsident und die stellvertretende Präsidentin oder der stellvertretende Präsident im Vollamt tätig sein. Dabei soll eine Beschränkung der Amtsdauer auf zwölf Jahre erfolgen. Die anderen Mitglieder des Staatsgerichtshofes bleiben im Nebenamt tätig.
Anpassungen im Dienstrecht
Schliesslich erfolgen im Rahmen der Justizreform diverse Anpassungen im Bereich des Dienstrechts der Richterinnen und Richter sowie der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte.
Diese betreffen die Ermöglichung von Teilzeitarbeit sowie eine zeitlich begrenzte Weiterbeschäftigung über das ordentliche AHV-Rentenalter hinaus. Zudem soll eine gesetzliche Pflicht zur Weiterbildung eingeführt werden.
Des Weiteren soll die Bestellung als Landrichterin oder Landrichter künftig mit einer Probephase von drei Jahren verknüpft werden, in welcher Landrichterinnen und Landrichter im Sinne eines Lern- und Evaluationsprozesses an die hohen, spezifischen Anforderungen der liechtensteinischen Rechtsprechung herangeführt werden. Analog dazu soll auch für die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte eine entsprechende dreijährige Probephase eingeführt werden.
Mit der gegenständlichen Vorlage soll der sich abzeichnenden Personalressourcenproblematik vorausschauend begegnet werden. Gleichzeitig soll die Anzahl der nebenamtlichen Richterinnen und Richter und das damit verbundene Potential für Interessenkonflikte reduziert werden. Mit dem Vorschlag der Regierung sollen auch die Chancen genutzt werden, die mit der Kleinheit des Landes verbunden sind. Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft profitieren dahingehend von der Vorlage, dass durch eine Straffung der Gerichtsverfahren eine schnelle Beendigung eines Rechtsstreits erreicht werden kann, was eine entsprechende Kosten- und Zeitersparnis für die Parteien mit sich bringt. Für den Wirtschaftsstandort Liechtenstein stellt dies einen Standortvorteil dar.
Die Regierung ist überzeugt, dass mit den – insbesondere durch die gegenständliche Vorlage zu schaffenden – attraktiven Rahmenbedingungen qualifizierte Richterinnen und Richter aus dem In- und Ausland rekrutiert werden können, um eine zukunftsfähige und den Verhältnissen des Landes Liechtenstein angemessene Justiz gewährleisten zu können.